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     und Foto: Stefan Jahnke

 

Leseprobe - Omegamord - Mystische Zeichen

 

Kapitel 3 - Wassersport und Mord (Auszug)

...

Kluge dreht sich um und geht zurück zu seiner Hundeschule. Eine gute Tat… nun noch einen Hund verkaufen und der Tag, ach was, die Woche ist gerettet. Er grinst und humpelt weiter, immer mit Blick auf den Fluss. Schöne Lage. Er kann zufrieden sein.
Als er eintrifft, steht da ein Polizeiwagen. Schon ein Passat. Gutes Auto. Bisher fuhren die alle mit Wartburgs und Ladas durch die Gegend. Man versucht, viel Geld auszugeben und die Polizei auf einen westlichen Standard zu heben… auch mit Kollegen von drüben und natürlich vielen Schulungen. Bleiben darf nur, wer sich bisher nichts zuschulden kommen ließ und wer natürlich keine Stasivergangenheit hat. Bei dem da braucht er darüber keine Gedanken zu verlieren.

"Hallo Sorge, schön, Sie wieder einmal zu sehen. Na, heute sogar auf den Hund gekommen?"
Der Kommissar, der sich erst zurückstufen lassen musste, weil eben im Osten kein Dienstgrad eins zu eins umgerechnet wird, seit die westlichen Sieger einkehrten, rümpft nur die Nase.
"Befehl vom Alten. Ich soll mich bei Ihnen umsehen und dann vielleicht eine Empfehlung geben. Unsere Dienststelle braucht einige Fährtensucher."
Fährtensucher. Na ja. Kluge schaut erst etwas pikiert, schlägt dann dem Kriminalisten die Hand auf die Schulter.
"Klar doch. Wir haben immer was Gutes. Passen Sie auf… einer ist besonders. Nicht leicht zu führen. Hat man ihn aber… dann… na ja, überzeugen Sie sich selbst."
Er führt ihn in die Baracke. Susanne schüttelt nur den Kopf. Mann, damit kann er sich sicher Feinde machen. Kluge ignoriert ihren besorgten Blick vollständig. Soll sie doch denken, was immer sie will.
"Hier… Buggy… ein ganz Guter. Nicht einfach also… aber eben… dem entgeht keine Spur. Sagen Sie mal, muss die Kriminalistik nicht eigentlich ganz anders arbeiten? Wieso fordern Sie nicht einfach die Hunde bei den Kollegen an?"
Sorge lacht.
"Wir müssen eben alles machen. Unsere neuen… Vorgesetzten… na ja, nennen wir sie mal vorsichtig so. Die meine, dass wir alles ausprobieren und machen sollen… und so machen wir das eben auch. Aber die Hunde führen werden andere. Es geht nur um die Auswahl… vom Preislichen genauso wie eben vom Können her. Und da Sie bisher immer… na ja, Sie wissen schon, was ich meine."
Es kracht ohrenbetäubend. Sorge, Kluge und seine Trainer zucken zusammen. Ganz in der Nähe fällt eben ein riesiger Schornstein in sich zusammen und sie schauen sich verdattert an.
"Wieder einer weg."
Der Hundemann schüttelt traurig den Kopf.
"Blühende Landschaften… schauen Sie sich die Elbauen da drüben an! Alles nur noch Unkraut. Wenn sich nicht bald jemand was einfallen lässt, haben wir nur noch Unkraut. Ist auch eine Art ‚Blühen’… na ja, wie man es eben will."
Er schluckt und Sorge nickt langsam vor sich hin.
"Passt bloß hier draußen auf. Gleich bei der Albertbrücke hatten wir jetzt einen Taschendieb. Aber nicht irgendeinen… der stellte sich einfach auf den Holperweg…"
Der Kommissar macht ein paar Bewegungen, dass die beiden jungen Cotrainer gleich zu lachen beginnen und Kluge ihnen erst einen giftigen Blick zuwerfen muss, um sie wieder in die Realität zurückzuholen. Dann schaut er den Polizisten fragend an. Susanne kommt eben und kippt eine Schubkarre voller Mist und alter Einstreu auf den kleinen Haufen. Gestern erst hatte man alles abgeholt. Müll eben. Früher verklappte man den Kram bei den nahen Kleingärtnern. Heute? Nein, niemand nimmt etwas an, weil jeder gleich Angst hat, dafür zahlen zu müssen. Da kann er doch reden, wie immer er will. Er lacht in sich hinein. Schließlich nimmt Sorge den Faden wieder auf.
"Ja, also… der holt die Frauen von den Rädern. Nein, nicht was Sie gleich wieder denken… der lässt sie weitestgehend in Ruhe. Aber… die Handtaschen werden ausgeräumt und der kippt einfach alles in den Dreck, in die Büsche… alles, was er nicht braucht. Der ist nur auf Geld aus. Eine schlug er sogar schon…"

Nun kommt Susanne näher.
"Etwa der Typ, der das Mädel fast ins Krankenhaus geprügelt hätte?"
Sorge nickt.
"Ja, stand schon in der Zeitung. Verrückter Kerl eben. Mist. Na ja, jedenfalls hatte sie nichts bei sich. War nur… wie sagt man das heute auf Neudeutsch? Ja, sie war joggen. Und… und da hat man nichts dabei. Nicht einmal einen dieser Walkmans. Den vergaß sie an diesem Tag. Vielleicht wäre der Kerl wenigstens einen Moment lang zufrieden gewesen. Na ja. Jedenfalls lag sie dann stundenlang in den Büschen und wäre fast noch erfroren. Irgendwann kam eine ältere Frau vorbei. Die ging immer abends in diese kleine Kneipe dort. Paar Schnäpse und ein gutes Gespräch. Wie auch immer… Alle lachten über sie… und nun ist sie eine Heldin. So kann es kommen."
Kluge verzichtet darauf, etwas von ‚alles hat sein Gutes’ zu sagen. Er nickt nur und hofft, hier keine Probleme zu bekommen.
Sorge holt seinen alten Fotoapparat aus dem Auto.
"Ich mache mal ein paar Fotos und dann werden wir sehen, was die Kollegen… und vor allem unsere lieben Wessis dazu sagen. Sicher haben die schon wieder irgendeinen Hund im tiefsten Westen… aber ich glaube, bei Ihrer Qualität, Kluge… Kommen Sie, bringen Sie ihn mal richtig in Positur!"
Der Polizist zeigt auf einen der Schäferhunde. Der Züchter und Trainer will erst verneinen. Na ja, vielleicht doch lieber so einen? Buggy wäre eher… für jemanden, den er schnell losbekommen will.
Die Fotos entstehen und alle Beteiligten sind gleich nach den Aufnahmen recht zufrieden. Sorge packt zusammen, verabschiedet sich. Kluge hat noch einmal diese Gedanken im Kopf. Ein Taschendieb, der jemanden für Nichts zusammenschlägt. Verrückt! Trotzdem geht er nachdenklich an die Arbeit. Nein, hier passiert so etwas nicht. Und wenn doch… Buggy könnte den Kerl fassen und sicher mehr verletzen, als es ein Schläger je einem Menschen zufügen wird.
Gegen Abend rollt schon wieder ein Polizeiwagen vor. Erst denkt Kluge, Sorge käme zurück, aber dem ist nicht so. Ein ganz normaler Polizeianwärter, noch mit gar nicht richtig eingetragener Uniform, steigt aus und fragt ihn nach ihm selbst.
"Ja… ähm… kenne ich. Soll ich Sie zu ihm bringen?
Er will sich gar keinen Scherz mit dem jungen Mann machen. Diese steife Art, nichts im Griff zu haben und doch eben seine paar Fragen herunterleiern zu müssen, die will er strafen. Zum Umgang mit ganz normalen Menschen gehört für ihn nun einmal eine große Portion… Professionalität. Macht er ihn darauf aufmerksam, lernt es der junge Kerl vielleicht schnell.
"So, hier kommt er gleich."
Draußen wird es dunkel. Der junge Polizist, der sich noch nicht einmal mit Namen vorstellte, schaut sich etwas verdattert um. Es ist düster in der Baracke. Wenn man ihm nun…? Seine Hand gleitet zum Gürtel und er wollte sicher gern seine Pistolentasche öffnen, lässt es aber, als er Kluge von dannen ziehen sieht. Gut. Dann wird er sicher den Gesuchten holen.
Wenig später kommt Kluge zurück. Nun trägt er einen Hut. Dummes Ding. Die breite Krempe hängt links und rechts herunter und der Dreck überall am Filz zeigt an, dass… nun ja, dass das Ding vielleicht in einem Müllsack lag.
"Und, kommt er nun?"
Kluge schüttelt den Kopf.
"Also wirklich… ich bin doch da!"
Nun weiß der Mann gleich gar nicht, was er denken soll, schaut noch dümmer als bis eben und will schon gehen.
"Ist gut, junger Mann. Sorry… ist nun einmal meine Art. Spleen… sozusagen… Was kann ich denn nun für Sie tun?"
Nachdem sich der Polizist erholte… wenigstens nicht mehr ganz so sauer schaut… berichtet er vom Krankenhaus und dass man noch einmal den Hergang überprüfen müsse.
"Sie wissen ja… die Eltern haben ein Recht darauf, alles zu erfahren und der jüngere… eben der Bruder des Verletzten, der behauptet nun, man hätte den Jungen geschubst. Aber… Sie waren das doch nicht, oder?"
Der Alte ist… völlig baff. Wie kann man ihm denn allen Ernstes vorwerfen wollen, er hätte…? Er schluckt kräftig, will sich aufplustern, besinnt sich dann und berichtet den Hergang rund um die MIG und seine Unterstützung. Der Polizist macht sich noch einige Notizen und will schon gehen.
"Halt, halt… wie geht es dem Kleinen denn nun?"
Ungläubig schaut der Polizeianwärter zu Kluge.
"Das wollen Sie noch wissen? So, wie der Kleinste… wie der Sie vorgeführt hat? Na ja, mich geht es ja nichts an. Aber in Amerika könnten Sie den Jungen jetzt ins Gefängnis bringen, weil er Sie verleumdet hat…"
Kluge winkt ab.
"Wie geht es ihm?"
Nun berichtet der Polizist endlich. Der Hundetrainer überlegt, wie man so jemanden auf die Leute loslassen kann, aber die alteingesessenen Beamten nach Hause schickt, ihnen alle Ehrungen aberkennt und sie gar ohne eine ordentliche Pension in den Ruhestand abschieben darf, nur weil sie der heute als falsch bezeichneten Partei die Treue hielten und doch viel mehr Polizisten als Politiktreue waren. Leider, denkt er sich, ist das auch nicht anders, als bei Sorge, den man zur Hundesichtung herschickt, obwohl es sicher genügend verrückte und vor allem unaufgeklärte Fälle in und um Dresden herum gibt. Nichts ist eben mehr so, wie früher. Gut? Nur bedingt.
"Also, wenn Sie noch einmal hinfahren… grüßen Sie ihn von mir. Ich hoffe, er erholt sich bald. Und dann kann er ruhig mal vorbeikommen und ein paar Hunde streicheln… wenn er will. Auch mit Bruder und Eltern. Ist ja schließlich kein Verbrecher… oder?"
Wieder und wieder schüttelt der junge Mann den Kopf, sagt dann jedoch zu, sich darum zu kümmern. Es geht ihn schließlich nichts an. Aber diese Menschen… ob wohl der Job, diese Arbeit, ob das etwas für ihn ist? Er kann nicht lachen, freut sich auf den Feierabend und grüßt noch einmal zum Abschied, ehe er wieder in den Passat steigt. Wer heute alles einen großen Wagen bei der Polizei bekommt… Kluge kann sich wirklich nur wundern.

Der kommende Tag bringt wieder die Polizei. Nein, sie will nicht zu Kluge, sondern es ist eine ganz normale Routinefahrt der Wasserschutzpolizei, die sich mit den Straßen des Flusses beschäftigt. Man will sehen, ob sich vielleicht verschiedene Verwerfungen im und um den Hafen auftaten. Hin und wieder geht man dabei Anfragen nach. Dieses Mal suchen sie ein Boot. Klein. Ein Kutter? Nein, eher ein Motorboot. Schwedische Bauart, jedoch in Deutschland zugelassen und angeblich auf dem Wege nach Tschechien.
Kluge, der eben am Wasser steht und Buggy, den er immer noch nicht an den Mann bringen konnte und den scheinbar nur Susanne und er beherrschen, trainiert, ihm beibringt, ins Wasser zu springen und gleich wieder herauszukommen, ohne erst lange zu spielen, der soll Auskunft geben.
"Na ja, hier kommen jeden Tag eine Menge Boote vorbei. Im Sommer noch mehr. Jetzt… weniger. Trotzdem… es sind genug. Wie sieht es denn aus? Haben Sie vielleicht ein Foto?"
Der Beamte, ein Mann mit faltigem Gesicht, einem weißen, nur noch mit wenigen dunkler wirkenden Haaren durchsetztem Vollbart, einer Mütze der Polizei auf dem Kopf, der er mit ein wenig Biegetechnik eine ganz besondere Passform gab, schaut sich um, schüttelt dann den Kopf. Er hat kein Foto. Nur eine Meldung aus Passau. Weit… ja, die Rentner im Westen können es sich scheinbar leisten, zu reisen. Er erspart sich jeden Kommentar und will schon gehen.
"Warten Sie doch… Ohne eine genaue Beschreibung werden Sie doch sicher kaum… Na ja, Sie suchen doch etwas. Also, wie sieht das Boot aus?"
Holfert, wie sich der Kapitän des kleinen Polizeibootes nun vorstellt, ohne seinen Dienstgrad zu verraten, den Kluge sich eh’ nicht merken würde, bleibt stehen, meint dann gar, er sollte vom Boot an Land springen und schafft auch diesen Satz zur kleinen steinernen Treppe gleich unterhalb des Trainingsplatzes.
"Ja, also…"
Er sucht seine wenigen Zettel durch.
"Kleines Boot mit einem markanten gelben Streifen gleich über der Wasserlinie. Zu breit, um auch bei Überladung zu verschwinden. Sie verstehen? Ja, und darauf drei Personen. Zwei Frauen und ein Mann. Alle mittleren Alters. Sie sollen nicht unbedingt wie die typischen Seefahrer aussehen… wenn Sie verstehen, was ich meine?"
Kluge grinst vor sich hin. Der Typ angelte sich wohl zwei leichte Mädels und unternahm… eine… ganz besondere Tour? Heute ist alles möglich. Gut denn, denkt er. Aber ein Boot mit einem Leuchtstreifen… anders würde er dieses Gelb nun nicht bezeichnen… das sahen weder er noch jemand aus seinem Team.

Lange schaut er noch dem Boot nach, als es elbaufwärts davon fährt. Wird bald am Terrassenufer sein. Und diese Suchmeldung, der dieser Holfert nachging… Hmm, komische Sache. Wenn die hier nur durchfuhren… dann kann sie eigentlich niemand wirklich wahrnehmen. Warum sucht man in Dresden? Der Polizist meinte wohl, der Skipper versprach seiner Frau, die wohl schon auf die Scheidungspapiere wartet, sich aus Elbflorenz zu melden. Wann auch immer. Es ist zumindest schon viel zu spät. Gut denn… dann war es der Frau vielleicht gar recht, wenn der Mann verschwindet? Er sollte den Mund nicht zu voll nehmen. Das klingt ja schon wie üble Nachrede… und ein Hundezüchter und Trainer, der mit den Behörden zusammenarbeiten will, der darf sich nichts zuschulden kommen lassen… sonst… na ja, sonst sucht man sich ganz schnell einen Ersatz. Was heißt eigentlich Ersatz? Er lacht in sich hinein. Noch bekam er keinen wirklichen Auftrag. Immer mal solchen Kleckerkram. Wenn Sorge jedoch hält, was er zumindest andeutete und sich nicht traute, zu versprechen, dann könnte er doch noch ganz groß ins Geschäft einsteigen. Das wäre… der Anfang von etwas ganz Großem.
Kluge leckt sich über den linken Daumen. Ja, das wäre es. Dann schaut er die Elbe hinunter zur Flügelwegbrücke. Ob er wohl… wohl einmal im Krankenhaus vorbeifahren sollte, sich selbst nach dem Jungen erkundigt und so vielleicht… einen weiteren Kontakt aufbaut? Heute, so weiß er, haben Viele gute Beziehungen… und noch mehr keine. Wer weiß, wer die Eltern des Jungen waren, wenn sie auf keinen Fall ihren Namen genannt haben wollen. Vielleicht Industrie, Politik, eben so etwas? Er wird es nie erfahren. Zu dumm aber auch! Oder er kümmert sich eben.
Dann sieht er die ‚Riesa’ vorbeischippern. Nur eine Probefahrt. Er weiß… die lag noch vor wenigen Tagen in Laubegast auf der Weft und bekam eine Dampfkesselüberholung. Nein, er interessiert sich nicht für diese alten Kähne, die man nun langsam wieder herrichtet, in ursprüngliche Form und Farbe versetzt. Er hat gute Verbindungen zum technischen Leiter der Werft in Laubegast. Auch wenn der wohl bald in den Ruhestand gehen wird. Der Mann ist eine Kapazität… zu vergleichen mit ihm, wenn es um Hunde geht.
Er grinst in sich hinein.
Hunde. Schiffe. Blöder Vergleich. Dann winkt er ab. Nein, aufdrängen wird er sich niemandem. Auch nicht dem gefallenen Jungen. Er muss lachen bei dieser Benennung. Zufrieden wendet er sich wieder Buggy zu. Der braucht Unterstützung. Er wird sie bekommen. Und wieder wirft er den Ring weit von sich, fast bis ins Wasser. Der Hund sieht ihn fliegen, bleibt sitzen. Erst auf das Zeichen seines Trainers rennt er, holt ihn und bringt ihn zurück. Guter Schüler!

Die Zeit vergeht. In der Polizeiarbeit gibt es nicht viele Veränderungen. Die westlichen Kollegen begreifen jedoch nach und nach, dass sie mit guten Männern und Frauen zusammenarbeiten, sich auf sie verlassen dürfen und damit dem immer weiter die Oberhand gewinnenden Verbrechen zumindest ein wenig die Stirn bieten können. Natürlich reicht dies alles nicht. Leider.
Kluge bekam seinen Auftrag. Erst verkaufte er nur einen Hund. Das war noch vor Heiligabend. Dann kamen die Kollegen und überzeugten sich von den Haltungs- und Trainingsbedingungen. Plötzlich floss Geld. Die Hundeschule wurde ausgebaut, verblieb jedoch am Ort. Der Trainer und Züchter wollte unter keinen Umständen, diese Lage direkt an der Elbe auf einer nun schon fast privat zu nennenden Hafenhalbinsel aufgeben. Dies, so wusste er immer wieder bei geeigneter Gelegenheit zu berichten, ist schon allein ein Aushängeschild. Als dann auch noch die Pläne der Polizeidirektion bekannt wurden, das kleine Hafenpolizeiamt zu erneuern, also ein neues Gebäude zu bauen und damit noch näher an die Schule zu ziehen, schien es fast so, als hätte Kluge alles erreicht, was man sich nur vorstellen kann. Er, der Hundetrainer, betreibt die Schule der Polizei. Dass er den meisten Umsatz seither, und das sind erst ein paar Wochen, also die Zeit vom Winter zum Frühjahr, mit privaten Verkäufen generierte und er sich trotz strenger Vertragsauflagen dieses Geschäft keineswegs nehmen ließ, ging niemanden Anderen etwas an.

"Budenschwung!"
Er ruft es eines Morgens im April. In der Zeitung las er, dass irgendein Verein, der sich um ein schöneres Dresden zu kümmern beabsichtigt, nun dazu aufruft, die Elbwiesen und die angrenzenden Gebiete zu reinigen. Das wäre auch etwas für seine Schule. Es sieht manchmal verheerend aus… drum herum. In der Baracke, die noch nicht größer, nicht stabiler und nicht viel dichter wurde, als zu Beginn der Tätigkeit für Sorge und seine Kollegen, hält Susanne alles sauber und hat dies auch im Griff.
Seine Cotrainer schauen ihn ganz entgeistert an. Was soll das nun wieder? Neue Ideen? Die kann man nicht immer gebrauchen. Er flucht einen Moment. Die sind… nicht die Hellsten. Er arbeitet trotzdem mit ihnen, denn sie… leisten gute Arbeit und bekommen die Hunde immer hin. Mal von Buggy abgesehen, der außer ihm und Susanne niemanden an sich heranlässt.
"Was sollen wir tun?"
Er lacht bei der Frage. Na, einfach einen Müllsack nehmen und die Ufer abgehen. Nichts weiter. Erklären und zeigen wird er es ihnen nicht erst. Ja, mitmachen schon. Aber… Er ist schließlich niemandes Hanswurst. Auch nicht der seiner Schule.
Sie stehen an der Hafenausfahrt. Wieder kommt ein Kahn heraus. Die Jachten, wie sie die recht großen Boote der Reichen nennen, stehen drüben im Pieschener Hafen. Hier kommen nur Frachtkähne herein und der Hafen selbst, wenn auch nicht mehr ganz so abgeschirmt, wie zu DDR-Zeiten, ist ein Sperrgebiet, eine Art Freihafen. Nein, nicht wirklich. Jedoch wird überwacht. Polizisten aus seinem kleinen Revier laufen Streife und kontrollieren sogar die Radfahrer, die den Radweg nutzen und sich meist im Schlamm oder mit zugewachsenen Strecken entlang der Elbe abmühen müssen. Gut? Man fühlt sich sicher. Während inzwischen in vielen Erfolg versprechenden Firmen eingebrochen wurde, traut sich niemand an seine Baracke. Sicher nicht nur wegen der Polizei gleich um die Ecke, sondern vor allem wegen der Hunde, die auch des Nachts hin und wieder kläffen. Hier stören sie niemanden. In Niedersedlitz bekäme er sicher viel Ärger… bei der heutigen Einstellung der Leute?
Nun ja, er kommt wie immer von allen nur sinnvollen Themen ab und… kümmert sich um nichts Gescheites. Wie zum Beispiel um den Müll. Nein, falsch. Heute wird alles um seinen Trainingsplatz herum gereinigt. Endlich.
"Hier drüben noch. Treibgut… viel Dreck… Handschuhe nicht vergessen! Los jetzt… wir wollen noch fertig werden… Heute!"
Er grinst dabei. Da schwimmen Plastikflaschen und ein kaputter Topf… wie kann der schwimmen? Ist ja aus Metall. Egal. Er muss weg.
Die Säcke füllen sich. Drei sind es schon. Na, sicher schimpfen die Müllmänner wieder. Erst toben sie, wenn sie eine halbe Tonne mitnehmen müssen und er darauf besteht, sie auch als solche zu vermerken. Dann sind sie sauer, ist gar nichts drinnen… und steht zu viel bereit… ist es ihnen auch nicht recht. Egal. Ist nicht sein Job.

"So, nun haben wir alles. Sieht richtig… oh, Mist. Da drüben liegt noch was."
Er schaut hinüber auf die andere Seite der maroden und verrosteten, nun schon zur Hälfte gesperrten Hafenbrücke. Ist nicht mehr sein Gebiet, aber eben… man sieht es von hier aus. Bunt. Vielleicht aus einer dieser neuen Kleidertonnen? Das versteht er noch nicht ganz. Na ja, schon. Man sammelt für die Bedürftigen. Aber was die Leute manchmal da hineinwerfen… er ertappte sich selbst dabei. Schuhe mit Löchern in den Sohlen. Die nimmt sicher niemand mehr. Zum Schuster… der wäre teurer als ein Paar neue Schuhe. Nein, nicht der Schuster, sondern eher die Reparatur durch diesen. Wie die Preise stiegen! Ja, seine Hunde kosten inzwischen ausgebildet ebenso das Zehnfache… reicht gar nicht. Jedenfalls viel mehr, als noch… im Frühjahr 1989. Die Zeit rennt. Susanne auch. Sie schnappte sich einen leeren Sack und will drüben aufräumen. Gutes Mädel!
Susanne schwitzt. Er sieht es bis hier herüber. Kluge steht immer noch am Wasser und schaut zu ihr. Ja, vielleicht hätte er anbieten sollen, die Arbeit selbst zu übernehmen. Nein, er ist nicht der Typ, der Frauen arbeiten lässt. Aber sie bot sich selbst an, drängte sich danach. Was kann er dafür?
Die großen Schweißflecke unter ihren Achseln ziehen sich schon hinüber zu ihren Brüsten. Noch nie dachte er an sie als Frau. Immer nur als die, die sich eben mit solchen Sonderfällen auskennt, wie Buggy. Und er ist stolz auf sie. So soll es bleiben. Nichts anderes hat es da zu geben. Er ist der Boss und… sie macht nur dienstlich, was er verlangt. Wie jetzt. Nein, das verlangte er nicht. Egal. Er ist zu kleinlich. Manchmal versteht er sich nicht.
Jetzt ist sie wohl fertig. Musste an diesem bunten Zeug ganz schön zerren. Verfing sich wohl im Gestrüpp. Ist ja auch alles zugewachsen. Da hinten, weiter zur Brücke hin, sollte es mal eine Verladerampe geben. Er wunderte sich zwar über das Ansinnen, aber man machte nicht weiter. War vielleicht… schon zu verkommen? Dabei braucht Dresden irgendwo außerhalb der Häfen noch solche Plätze. Für Container oder auch übergroße Fracht. Hier am Flügelweg wäre der rechte Ort. Nahe des Alberthafens und außerdem eine gute Anbindung gleich an zwei Autobahnanschlussstellen. Sogar für die ganz großen und besonders schweren Lasten, die man nur oben auf der Trasse transportieren kann. Hier würde man… nein, er schweift ab. Sein Geschäft sind und bleiben die Hunde und er… will sich nicht an diesen ewigen Diskussionen beteiligen. Dann wird er noch so verbiestert wie der Sorge. Der tut ihm manchmal leid. Vielleicht sagt er ihm einmal, er solle sich endlich einen ordentlichen Job suchen? Nein, das wiederum wäre… gemein.
"Warte, Susanne, ich komme Dir entgegen. Musst Du nicht allein tragen! Warte nur…"
Sie winkt ab, schultert den übervollen Sack. Gleich fallen ein paar Stücke heraus, die sie natürlich auch noch aus der näheren Umgebung dieses Kleiderpulks aufsammeln musste, und sie beginnt noch einmal, alles so zu verladen, dass sie guten Gewissens sagen kann, dort sieht es bereits… annähernd sauber aus. Schon klettert sie samt des schweren Sackes auf den Schultern den kleinen Hang neben der Brückenauffahrt hinauf und steht vor dem verrosteten Ding, das früher sogar schon als Baudenkmal durch die Presse geisterte, dann jedoch von der Liste gestrichen wurde, weil man in der DDR nicht genug Geld auftreiben konnte, um eine Brückensanierung durchzuführen. Geschichte… überall lebt sie… und besonders gerade hier im Hafen, der den Namen eines der alten sächsischen Könige trägt.
Nun kommt sie. Kluge schluckt.
"Mann, Mädel… gut jetzt!"
Er will zugreifen, winkt seinen beiden Cotrainern, doch die tun wieder einmal so, als sehen sie nichts. Blödes Pack! Als Trainer ganz in Ordnung. Aber wenn es mal um eine Hilfestellung geht… na ja, man kann sich eben seine Leute nicht backen. Zum Glück kommen sie nicht aus dem Westen. Dann dächte er sicher das Gleiche, wie Sorge über seine Chefs…
"So, stell den Kram einfach hierher. Übermorgen kommt die Müllabfuhr und die nehmen das alles mit… will ich denen jedenfalls geraten haben… hahaha!"
Susanne verzieht das Gesicht. Sie hat sich wohl irgendwo verrenkt, kann nicht ganz gerade gehen.
"Verdammt noch eines! Mädel… warte!"
Nein, sicher ist er kein wirklicher Masseur. Seine Frau brachte ihm vor Jahren… Jahrzehnte muss das jetzt her sein… da brachte sie ihm einiges bei. Sie lernte mal ein paar Wochen beim ‚Einrenker’ in Pulsnitz. Nun ist sie schon so lange tot und er meint, sich an einige Griffe… Handgriffe eher… sich eben noch daran erinnern zu können. Vielleicht auch nicht. Er schluckt. Wie sagte sie immer? Mit einem falschen Herangehen kann man jemanden mit nur einigen Zügen für immer ausschalten. Nein, das wird er nicht tun.
"Entspann Dich, ja?"
Die Pflegerin setzt sich auf die kleine Bank, die Kluge schnell noch von der Wand wegrückte.
"So. Nun ganz locker lassen. Ja, ich weiß. Das geht meist nicht. Aber versuch es bitte einmal. Ganz locker und geschmeidig… dann wird das auch!"
Er drückt und knetet, versucht, sich an die alten Hinweise zu halten und bemerkt schon, wie aus der anfänglich vorhandenen Scheu bei Susanne gleich ein wohliges Grunzen wird. Na, die wird doch nicht… nein, sie schaut ihn nicht an, sieht eher in die Ferne.
"So, ich glaube, das reicht jetzt. Versuch mal, ein paar Schritte zu gehen. Angeblich zeigt sich dann der Erfolg."
Sie steht auf, geht entlang der Barackenwand vor und zurück, schaut freundlich, eher dankbar zu ihm.
"Prima… was Sie alles können!"
Wieder dieses ‚Sie’, was er nicht will. Jeder andere um ihn herum sagt… ‚Du’. Nur eben nicht Susanne. Er könnte toben, lässt es aber. Sie bemerkt sicher seine Einstellung, geht jedoch nicht darauf ein.
"Ich glaube, wenn ich wieder mal so was habe, komme ich gleich zu Ihnen, Herr Kluge."
Ja, ha, immer noch etwas Salz in die Wunde! Er wendet sich ab, schaut auf die neun Säcke. Echt… neun. Viel!

Am nächsten Morgen steht immer noch alles so da, wie vorher. Erst dachte Kluge noch, die Waschbären, die sie vor einiger Zeit hier sichteten, würden vielleicht des Nachts alles breitzerren. Dann wäre natürlich alle Arbeit umsonst. Nur eben… dass nichts mehr auf dem Trainingsplatz, sondern vor der Baracke liegen würde. Aber nichts. Vielleicht… das würde wieder zu den vielen Berichten über diese possierlichen, jedoch für die Innenstadt nicht geeigneten Tierchen passen, haben sie einfach Angst vor den Hunden? Die sind in der Nähe und… könnten ihnen ja gefährlich werden. Nein, werden sie nicht, wenn sie im Käfig, im Zwinger, eben in der Baracke sind. Aber das wissen die Waschbären nicht. Zumindest hatten sie in dieser Nacht keine Lust, sich hier… gütlich zu tun.
Kluge bleibt kaum Zeit. Schon, nachdem er seine Männer anwies, was heute zu tun ist, klingelt wieder einmal das Telefon.
"Ja? Hundeschule Kluge… was ist?"
Freundlich… er will fast lachen, als ihm seine eigenen Worte einfallen und er… sich nicht erinnern kann, jemals so frech an etwas herangegangen zu sein.
"Sorge hier. Du, pass mal auf…"
Sie sind nun endlich per ‚Du’. Ja, der Kommissar… man kann sich seine Freunde eben aussuchen… und manche von denen wollen auch Freunde sein. Gute? Er weiß es nicht. Doch wenn Sorge so anfängt, dann ist meist etwas im Busch. Was kann er wollen? Einen Hund? Sicher nicht. Sagte er nicht erst, die hätten nun genügend? Er weiß es nicht mehr. Aber… ja, klar. Er weiß es schon, aber er wird einem guten Kunden nicht vorschreiben, wann er einen neuen Kauf planen darf. Also… zuhören ist in.
"Wirklich? Einen Hund? Jetzt?"
Sorge kennt Kluge… nicht zu gut, aber schon ein klein wenig.
"Ja. Tut mir leid, ich konnte Dich nicht einmal vorwarnen, aber wir haben da… einen Notfall!"
Einen Notfall… wie kann es bei der Polizei einen Notfall geben, bei dem ein neuer, gerade mal ein wenig ausgebildeter Hund eine Rolle spielt? Kluge schüttelt den Kopf. Das kann Sorge natürlich nicht sehen. Ihn geht auch nicht alles etwas an.
"Ja, also… das wird schwierig…"
Am anderen Ende hört er ein Schnaufen.
"Wenn es ums Geld geht… diesmal kein Problem. Notfall eben. Aber… bitte… übertreib es nicht, sonst kann ich Dich nicht wieder reinbringen. Du verstehst?"
Nichts versteht er. Er sagt natürlich zu. Wie er es bewerkstelligen soll? Gleich fällt ihm Buggy ein. Der wuchs ihm inzwischen ans Herz. Man soll sich nicht mit seinen Tieren verbrüdern. Kommt nichts Gutes dabei heraus. Er schluckt noch einmal, nickt und meint, Sorge solle ruhig am Nachmittag vorbeikommen. Vielleicht gibt es doch noch eine Lösung. Nicht die Beste, aber eben… eine.
Notfall. Er überlegt. Dann geht er in die Baracke, holt die Zeitungen der letzten beiden Tage herzu und beginnt, sie anhand dieser Nachricht durchzublättern. Notfall bei der Polizei… da steht eben nichts, was ihn auch nur annähernd darauf bringen könnte, was geschah.

Warten… mehr kann er nicht tun. Und Buggy noch einmal prüfen. Vielleicht… nein, er darf Susanne nicht… oder gerade? Sie nahm sich des Hundes an, weil er eben keinen Abnehmer fand. Sie ist… wie eine Mutter… jung. Bisschen zu jung dafür. Er lacht. Wenn er an gestern denkt… den jungen Männern darf er das nicht erzählen. Die verschwanden ja, ehe er seine Massage begann. Er lacht in sich hinein. Die denken doch gleich wieder sonst etwas! Dabei… er… alter Knochen und junge Stute…? Passt nicht zusammen.
"Susanne, komm mal her!"
Sie radelte eben erst auf den kleinen Hof vor der Hundeschule. Zu spät? Nein, er wollte es so. Eigentlich sollte sie erst zum Mittag kommen. Fleißig… manchmal übertrieben fleißig. Er schaut sie an. Gleich stellt sie das Rad beiseite.
"Was ist denn los? Sie wirken… irgendwie…?"
Er sagt nichts, geht mit ihr in die Baracke. Dann stehen sie vor Buggys Zwinger. Ist nur ein kleiner Verschlag. Ausreichend, aber kein wirklicher Zwinger. Wenn das Tier wollte, wie es manchmal könnte, wäre es eins fix drei draußen.
"Vielleicht hat er einen Käufer…"
Sie schaut ihn bei diesen Worten an. Sind das Tränen? Nein, eher… eher ein wenig Freude? Ja, das wird es sein. Er lacht nicht, sondern nickt nur.
"Sorge kommt dann vorbei und will ihn sich noch einmal ansehen. Es geht nicht ums Geld, sondern um einen Notfall. Frag mich nicht, was da los ist. Er klang… ziemlich gestresst. Und Buggy scheint seine einzige Rettung zu sein… oder die der Polizei… hahaha!"
So richtig mitlachen kann Susanne nicht. Wie auch? Sie mag Buggy. Aber… wenn er eine anspruchsvolle Arbeit bekommt, anerkannt wird und man ihn gut versorgt, dann…
"Wann?"
Nachmittag. Keine Zeit. Irgendwann ab zwei, nimmt er an. Sie nickt.
"Ich mache ihn fertig. Noch einmal das ganze Programm, dann waschen, kämmen und… na ja, etwas Öl. Da sieht er gut aus. Besser. Außerdem mag er es. In Ordnung?"
Er spürt, wie schwer es ihr fällt. Kein Vorwurf, kein hastiger Blick. Professionell. Und doch… menschlich. Susanne… ein Glücksgriff!

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