Birkenkreuz-Saga - Alle Bücher - Autor - Verlag und Bestellung - Hintergründe - Rezensionen - Zurück

© 2017 Einbandgestaltung
     und Foto: Stefan Jahnke

 

Leseprobe - Birkkenkreuz - Band 6: Das Komplott

 

Prolog (Auszug)

"Auseinander mit Euch, Ihr Dummköpfe!"
Der Ritter hat bereits ein von der Wut gerötetes Gesicht. Diese Nichtsnutze, denkt Philipp von Werdau und kann sich doch schon wieder ein leichtes Lächeln nicht verkneifen, wendet sich ab und versucht, wenigstens von der Gestalt her Haltung zu bewahren. Ja, sie haben nicht viel zu tun. Das allein ist das Problem dieses Ortes, dieser Belagerung.
Endlich begreifen die beiden Knappen, dass sie ihre Kraft lieber auf das Putzen der Waffen und die Reinigung des Rüstzeuges ihrer Herren verwenden sollten. Das Wetter ist schlecht. Sagte nicht irgendwer, hier gäbe es keinen Regen, scheine das ganze Jahr über die Sonne und wenigstens das Land wäre gastfreundlich, wenn es schon die hiesigen Bewohner nicht sind?
Akkon. So eine stolze Stadt. Natürlich strategisch wichtig, denn der Hafen eignet sich ideal für den Einfall in Richtung Jerusalem, das schon wieder einmal fest in der Hand des Paschas ist.
Nichts zu tun… sagt nicht die Geschichte, dass es bei jeder Belagerung einen Verräter gibt, der schließlich für die Öffnung der Tore sorgt? Hier geht es schon eine Weile. Mit soviel Zeit rechnete wohl keiner, auch nicht der erlauchte Richard, der sich als Führer des Kreuzzuges aufspielt und doch so viele Gegner hat, dass er letztens erst seine Leibwachen verstärken musste. Wie kann sich ein Herrscher denn mitten in einer Belagerung offen gegen gleich zwei der angesehensten Ritterorden stellen? Nein, das ist dumm. Aber ihm steht solch eine Meinung nicht zu.
"Trollt Euch! Fort, schnell fort… und sehe ich Euch noch einmal raufen, werdet Ihr die schlimmsten Stunden erst noch vor Euch haben, das verspreche ich Euch!"
Die Knappen sehen ihn an. Unwillig, fast verstockt wirken beide. Wer weiß, um was der Klinsch eben ging… vielleicht wieder um eines der hiesigen Mädels, die man fing und die nun unter strenger Bewachung ihre Suppen kochen oder auch einige Näharbeiten verrichten. Was des Nachts mit ihnen ist… na ja, jeder mag sicher ein Weib bei sich liegen haben. Es gibt aber einige Grenzen. Die Großmeister schreiben sie vor. Und da sie vom Papst gestützt werden, wagt Richard Löwenherz nicht, den man eher Mausebau nennen sollte wegen seiner Angst vor Rom, sich auch noch dagegen aufzubäumen.
Weiber… nun ja, besser wäre es, man hätte die Stadt und könnte sich auf weitere Züge vorbereiten!
Ein großes Zelt wurde errichtet. Lange dauerte es, ehe auch der Letzte der Belagerer begriff, dass die anrückenden Männer und Frauen, die sich kaum auf den Beinen zu halten vermochten, nur eben dorthin wollen. Kranke. Ist es wirklich schon soweit, dass man denen zutraut, diesen Stinkenden, Kriechenden, Schreienden, das sie die stolze Heerschar im Auftrag des Papstes unterwandern?
Kranke heilen… Er kennt das von seiner Mutter. Lange sah man sie scheel an in ihrer Gegend. Das Weib eines Ritters, die Herrin einer Burg und doch eine Heilerin. Nicht nur, dass sie den Kranken allein half. Vor allem war es ihr Lebenswandel, der sie so anders dastehen ließ. Sich täglich zu waschen, auf Reinheit bei Tisch, in der Küche, gar im Bett zu achten… er weiß es genau. Sein Vater hatte arge Bedenken, als sie meinte, sie wolle auch nach der Hochzeit noch ihrer Berufung folgen. Und doch…
Hier sind es nur Männer. Sie kamen wohl als Händler und wurden zu Heilern. Sie pflegen nicht nur die Nachkommen alter Kreuzzüge, die sich noch lange nicht an das Land mit seinen vielen Gefahren gewöhnen konnten, sondern auch die hiesigen Bewohner, also die, die ihnen aus Akkon heraus Widerstand leisten.
Widerstand… diese Männer sind gut! Zum Handel braucht man Käufer und Verkäufer. Das ewige Schlachten im sogenannten Heiligen Land sorgte für viele Tote und natürlich… Armut. Kann der Mann nicht mehr auf dem kargen Boden schaffen, hat die Familie kein Geld und auch nichts zum Tausch oder Verkauf.
Lübeck, Bremen… Städte, die dem Handel verwachsen sind. Hospitalbrüder nennen sie sich, schwören gar einigen leiblichen Freuden ab, wollen keusch leben und… heilen. Philipp kann es nicht glauben.
Wieder schaut er hinüber zu den Mauern. Bewegung. Immer halten sie sie in Atem. Nie ist wirklich Ruhe. Das kann auf die Dauer nicht gut gehen. Er schüttelt den Kopf.
Rufe werden laut. Man versammelt sich um Meister Sibrand. Endlich kam wohl Kunde aus Rom, ob man einer Gründung zustimmen mag? Sogar die beiden Ordensherren Geoffroy de Donjon und Gilbert Hérail gehen unter die Plane, schauen recht feierlich in die Runde. Nun, so soll es wohl sein. Die Stadt zu nehmen, war ihnen bisher leider nicht vergönnt, aber Tatsachen für die Zeit danach werden geschaffen. Ist das gut? Philipp schüttelt den Kopf. Nein, sicher nicht. Vielleicht jedoch weckt es den alten Mut, schafft wieder einen Sinn im Kopf der Männer, sich mehr und mehr auf ihr von Gott gewolltes Tun zu besinnen. Jemand ruft etwas. Er kann es nicht verstehen, erkennt aber, dass es einer der Pagen des Königs ist. Vielleicht fehlen noch wichtige Herren für eine entsprechende Zeremonie? Er überlegt. Nein, er lässt sich nicht missbrauchen!
Schreie. Schon rücken Bewaffnete auf das Zeltdach zu und man sieht, wie einige der dort wartenden Kranken ungläubig auf diese schauen. Was geschieht da? Philipp kann sich nicht mehr zurückhalten, geht, rennt fast trotz der schweren Rüstung, die er in diesem Wetter Tag für Tag zum eigenen Schutz und aus Vorahnung eines irgendwann doch beginnenden Kampfes zu tragen pflegt, erreicht schließlich den Ort und…
Nein, oder?
Meister Sibrand liegt am Boden, über ihm einer der herbeigerufenen Wachleute. Dort drüben liegt der nichtsnutzige Gerhard. Ein Schleimer, weiß Philipp nicht als Einziger. Immer wieder versucht er, sich bei allen möglichen Herren in ein gutes Licht zu bringen, und schafft zum Schluss nur Frust und… Unbehagen.
"Ihr werdet Euch sofort wie Männer benehmen!"
Donnernd schallt die Stimme des Königs über die Köpfe aller verwundert Schauenden. Dann tritt der Obere der Kaufleute herzu, hilft dem Meister auf und schickt Gerhard hinaus.
"Wir haben hier Dinge zu besprechen, die für wirkliche Männer gedacht sind, nicht für überhitzte Schläger!"
Der so Gescholtene will etwas erwidern, doch der finstere und stechende Blick des Königs lässt ihn stumm bleiben. Er ballt noch die Faust, was eine Anmaßung in Gegenwart so vieler hoher Herren ist, doch man will den Störer nur forthaben. So geht er und wirkt recht zerknirscht. Nicht bei der offiziellen Gründung der Hospitalbrüder dabei sein zu dürfen, ist sicher eine Strafe, mit der er gar nicht rechnete. Endlich ist er fort.
Der König, gerade noch hart und unnachgiebig wirkend, schaut schon wieder freundlich in die Runde.
"Verzeiht, Meister, wenn Euch dieser Junge angriff. Vielleicht gelingt es Euch mit Eurer Erfahrung, ihn noch zu einem guten Mann in der Bruderschaft zu erziehen. Ich lege seine Zukunft in Eure Hände!"
Sibrand nickt langsam, schaut sich um und reibt sich den linken Arm, auf den er fiel.
"Welche Ehre, Majestät!"
Richard lacht kurz auf und lässt sich einige Dokumente geben, die er überfliegt, dann vor sich auf den wackeligen Tisch legt. Schon erheben sich einige Köpfe von den weiter hinten unter dem Zeltdach stehenden Liegen. Die Kranken begreifen, was geschieht. Sie waren stets voller Hoffnung nach ihrer Aufnahme. Nun soll es offiziell werden. Hoffentlich nicht überschattet von weiteren Vorfällen wie eben diesem gerade. Und die Ordensherren sehen sich in die Augen. Man erkennt nicht die sonst oft beschriebene Abneigung zwischen ihnen, eher Verständnis, Mut und Zuversicht für das Neue.
Philipp denkt zurück an die letzten Tage. Er versucht, sich ein inzwischen leeres Proviantfass zu ergattern, um nicht die ganze Zeit stehen zu müssen. Nicht jeder hat dieses Privileg und für die, die dem König am Nächsten stehen, also in erster und zweiter Reihe dieser Zusammenkunft, käme es nicht infrage. Er sieht sehr deutlich, dass Geoffroy einige Schwierigkeiten hat. Vielleicht kam er gestern zu spät vom Weine los. Kein Wunder… die Versorgung mit Fleisch ist nicht mehr gut, das Brot von hier kann einem schnell über werden. Es wird eben nur aus Mais und Weizen gemacht, nichts mit Roggen oder anderen Körnern. Das verträgt man nur eine Weile. Besonders die Rüstungen passen bald nicht mehr. Ein Jammer, aber nicht zu ändern. Nun muss der Johanniter mit den schweren Beinen und vielleicht auch noch mit Schmerzen im Kopf kämpfen.
Endlich hat er es geschafft. Natürlich sieht er jetzt nichts mehr. Doch das Palaver, welches solch einem feierlichen Anlass vornweg geht, kann er sich auch hier unten ansehen. Wird es dann ernst, schwört man einen Oberen ein, verliest man die Pflichten und verabschiedet die neue Gemeinschaft in die raue Welt hinaus, kann er sich ausgeruht wieder erheben und schaut einfach zu, wie die anderen sich grämen, sich nicht mehr so recht auf den Beinen halten können.
Wie war das noch vor Wochen?
Der König traf ein. Niemand erwartete mehr, dass er Akkon wirklich erreicht, doch Richard Löwenherz steht zu seinem Wort und kann es sich bei seinem schweren Stand mit vielen Fürsten bis hin zu seiner eigenen Familie gar nicht leisten, einem Ruf des Papstes und des Kaisers nicht zu folgen. Der Kaiser selbst will sich am liebsten drücken, schickt nur seine Männer. Ein Privileg, wenn man selbst zum Kreuzzug aufruft und sich nachträglich erst den diesbezüglichen Segen des Papstes geben lässt.
Löwenherz traf ein. Vorher war weitestgehende Ruhe unter den Kreuzfahrern. Sie richteten ihre Waffen, schlossen den Ring der Belagerung immer enger und meinten gar, die Stadt irgendwann aushungern zu können. Doch dann… es kann auch nur die Einbildung des Ritters sein, denn so gut ist er mit seinen Gedanken nun auch nicht bei der Sache… aber dann ging plötzlich vieles drunter und drüber. Die Orden schlugen aufeinander ein.
Templer und Johanniter.
Er selbst ist einer aus den Reihen der Johanniter, doch er weiß nicht recht, warum man sich bekriegt… auch noch wie auf ein Stichwort hin, als der König die Mole am Hafen betrat, die Stadt musterte und… ihm drei Männer vorgeführt wurden, die der Templer Gilbert des Hochverrats bezichtigte. Geoffroy wollte dies nicht und schon lagen sie sich erst mit Worten, dann gar mit beherzten Becherwürfen gegeneinander in den Haaren. Und Philipp meinte eine Weile, dass dies doch nur ein Spaß sein könnte.
Was warf man den Männern vor?
Oh, das war wahrlich etwas Schlimmes!
Sie sollten gehurt haben, nahmen sich Weiber und machten mit ihnen… nun, das ist nichts Verwerfliches. Es sei denn, der König verbietet es, wie er auch das Plündern der Stadt verbieten könnte. Doch jetzt, da die Moral am Boden zu liegen scheint, wird er sich dies genau nicht wagen. Aber die Sachlage war schlimmer.
"Sie waren in Akkon!"
Gilbert schrie es heraus und gleich wurde Richard hellhörig.
"Wie meint Ihr das, Ritter?!"
Der König wird die zwar Edlen, aber eben nicht mit einem Titel des Großmeisters bedachten Herren des Tempels sicher nicht mit besonderen Ehren ansprechen. Vielmehr will er rasche Antwort, um sich nicht ewig mit diesen dummen Dingen beschäftigen zu müssen.
"Sie waren in der Stadt! Die Huren hier vor den Mauern und in den nahen Dörfern reichen ihnen schon nicht mehr!"
Winselnd lagen die Drei vor dem König und versuchten gar nicht, diese Anschuldigung zu entkräften und langsam verstand Richard, was der Templer ihm offenbarte.
"In der Stadt?!"
Wieder nickt der Templer und der König zieht einem seiner Männer den Spieß aus der vor Schreck darüber ganz steifen Hand, muss dem gar noch in den Wanst treten, um den Stab freizubekommen, und schon dreht er ihn herum und schlägt auf die drei Männer ein. Gezielt. Immer zwischen die Schulter der sich immer tiefer Verneigenden. Sie wimmern laut, werden noch schriller in ihren Klängen und sacken schließlich ganz in den Dreck auf dem erhöhten Boden der Mole. Endlich hält Richard ein.
"Ihr wart in der Stadt?"
Einer kann sich noch einigermaßen bewegen und erhebt sich ein wenig, um zu antworten. Gleich wird er von einem der Wächter wieder zu Boden geschickt. Sein laut vernehmbares ‚Ja‘ jedoch lässt alle Umstehenden aufhorchen. Und ohne ein weiteres Wort abzuwarten, zieht der König jetzt sein Schwert und schlägt allen Dreien mit geschickten und kaum wahrnehmbaren Schlägen die Köpfe ab.
Ein Raunen um ihn herum. Dann sacken die Toten zusammen und er wendet sich ab. Doch Geoffroy ist außer sich.
"Und wenn sie Hunderte Male die Mauern durchdrangen… den Tod verdienten sie nicht. Vielleicht hätten sie uns die Tore öffnen können! Jetzt aber nicht mehr."
Der Johanniter verstummt auf den giftigen Blick des Königs hin.
Nun ging es erst richtig los.
Immer wieder berichteten die Leute von Übergriffen. Mal waren es wohl Templer, mal auch nur deren Dienstvolk, dann wieder Johanniter. Einmal wurde ein Ordensfreier schwer verletzt, weil einer der Angreifer ihn verkannte. Dann ging gar ein Knappe, der doch in einem Kampf nichts zu suchen hat, zwischen zwei sich mehr prügelnd als schlagend verständigende Ritter der Orden und erlag wenig später den schweren Verletzungen. Selbst die Männer des kleinen Hospitals konnten nichts mehr für ihn tun.
Richard war all dies so Leid. Er wollte Ruhe.
"Wenn die Ordensritter nicht in der Lage sind, sich zu benehmen, dann muss eben eine Gemeinschaft gegründet werden, die aus beiden Richtungen das Beste in sich aufnimmt… die Pflege und den Kampf. Denn beides gehört nun einmal zusammen."
Seit diesem Tag hatte er sie alle gegen sich. Und als auch noch ruchbar wurde, er hätte Spione ausgesandt, die sich in den wohl auf den Tod verfeindeten Lagern umhörten und gar ein Geheimnis der Templer auskundschafteten, war es zu viel. Ein Reiter wurde gefasst, der Akkon nach Norden verlassen sollte. Er kam nicht weit. Doch die Depesche, die er bei sich trug, wurde vom König geöffnet. Niemandem sagte er, was er da las. Doch das Siegel sahen einige. Es war das des Großmeisters der Templer, obwohl dieser nicht vor Akkon weilt. Der Verdacht konnte nur auf Gilbert fallen, aber er wurde nicht angegriffen. Man spricht immer noch von… nein, nicht von Verrat, aber von Macht, welche der Orden des roten Tatzenkreuzes besitzt und die auch Richard zwingen kann.
"Ich brauche etwas, was die Ordensherren mehr beschäftigt, was allen nützt und mich zumindest beim Papst in ein gutes Licht setzt!"
Immer wieder, erinnert sich Philipp an die Erzählungen seines Vaters, immer wieder musste der König von England versuchen, aus sich mehr zu machen, als es eigentlich möglich sein konnte. Ob nun mit oder ohne Erfolg… wer will es wissen? Eingebildet sind sie, die Oberen. Die Ordensherren nicht minder, als der König. Doch der hat mehr zu verlieren. Der Orden ist stark, kann nicht einfach verschwinden. Der König… austauschbar ist er. Leider. Oder auch zum Glück für die Welt? Er wagt es nicht, weiter zu denken.
"Ihr werdet diese Gemeinschaft schützen und unterstützen. Eure Erfahrungen und Eure Macht machen daraus etwas Großes. Und wer weiß, vielleicht wird eines Tages noch mehr daraus… etwas, was man nicht nur hier vor Akkon kennt, sondern im ganzen, dann wieder geeinten Reich von Morgen bis Abend. Die Hospitaler sollen sich nicht nur aus den Bürgerlichen rekrutieren, sondern auch aus Euch. Das ist wahre Größe, bestimmt den Glauben und die Zukunft!"
Längst war die offizielle Zeremonie beendet, schritten viele der Herren und Ritter bereits zurück zu ihren Zeltstätten, versuchten einige der Oberen, einen neuen Plan zur Einnahme der Stadt vor ihnen aufzustellen und hatten doch dabei keine wirkliche Hoffnung, dies schnell hinter sich zu bringen.
Der König winkte den beiden Ordensherren zu. Meister Sibrand verneigte sich noch einmal und Gilbert und Geoffroy standen mit gehörigem Abstand zueinander vor Richard. Eben wollte auch Philipp, der längst vom Fass aufgesprungen war und jederzeit niedersinken wollte, um dem König zu huldigen, ebenfalls den Ort verlassen, als Geoffroy ihm winkte. Nun muss er bleiben. Wohl oder übel.
Der Oberste der Runde schaut in die Gesichter der wohl sicher mit den besten Absichten ausgestatteten Herren, die sich jedoch nicht mochten. Zumindest verbreiteten sie für ihn den Anschein. Aber er glaubte, es besser zu wissen.
"Zeugen? Ihr müsst wissen, was Ihr tut!"
Seine Stimme war nicht mehr so donnernd und herrisch, wie eben noch vor den Anderen.
Gilbert sah erst zu Philipp, dann zu Geoffroy, der ihm unmerklich zuzunicken schien. Dann nickte auch er.
"Die Orden sind keine Geheimen. Wir werden vor diesem Mann sprechen, Eure Majestät!"
Richard sollte sicher aufbrausen. Er vermied es tunlichst. Zwar ist es eine Frechheit, einen Zuhörer zu dulden, auf den er hinwies, der ihm also scheinbar gar nicht recht war, doch was soll er denn tun? Will er mit diesen da ins Reine kommen, wird er einige Zugeständnisse machen müssen. Ob er es nun will oder auch nicht.
"Gut denn… lasst uns aber in mein Zelt gehen. Hier ist alles offen."
Nein, noch mehr ungebetene Ohren brauchte er nicht. Ob er vor diesem da wirklich so sprechen kann und auch soll, wie er es nur vor den beiden tun wollte? Er ist der König, der Herrscher, der Höchste hier vor Ort, denn diese beiden Ordensritter, die die Fahnen und Zungen ihrer Verbände leiten, haben zwar Order vom Papst, aber der Kaiser selbst wies den König an, hier nach dem Rechten zu sehen. Recht ist hier vieles längst nicht mehr!
Die vier Männer machen sich auf, sehen weder sich noch die sie beobachtenden Recken im Lager an, schreiten nur, vielleicht jeder in seinen Gedanken versunken, auf die Königsstadt mitten im Lager zu. Dort angekommen, gibt Richard noch einige Weisungen und sogleich bringt man Wein, Früchte und gar einige Teile des heute erst erlegten Kamels. Fleisch hatten die Kämpfer alle kaum in den letzten Wochen. Kein Wunder, wo man sie doch abschneidet von den guten Gebieten, die Dörfler ihre Herden davontrieben und sie immer noch vor der scheinbar nie hungrig werdenden Stadt stehen und nicht darinnen. Es ist ein Jammer, aber nicht zu ändern.
"So, nun berichtet!"
Fragend sehen Geoffroy und Gilbert den Gekrönten an. Der kann nicht anders und muss lachen. Dann schaut er zu Philipp, dessen Name ihm jedoch nicht einfällt. Warum, fragt er sich, warum wollen diese Beiden, die sich nie einig sind, gerade den da dabei haben?
"Tut nicht so, als wäre alles in Ordnung… Ihr streitet und Ihr wisst genau, warum ich diese Bruderschaft schuf. Nur, um Euch zu befrieden. Ob es mir gelingt… wird die Zeit zeigen. Aber Ihr solltet wissen, dass ich längst nicht mehr viel auf Eure ewigen Sticheleien gegeneinander gebe. Die Moral der Truppe macht ihr mir nicht kaputt, Ihr Freunde im Hass!"
Geoffroy lacht laut auf.
"Freunde? Wir? Niemals!"
Gilbert bleibt still, schaut jedoch in einer gewissen Erwartungshaltung auf den Herrscher, der scheinbar noch mehr Trümpfe im Ärmel zu haben glaubt.
"Ja, Freunde. Denn Euch eint ein einziges Ziel. Und ich weiß auch, welches. Ihr, Geoffroy de Donjon, Ihr seid zwar ein Johanniter und sicher auch den Gelübden treu, dem Papst ergeben und dem Glauben verbunden, aber… eben doch auch einer der Hüter, oder?"
Einen Moment scheint die Zeit stillzustehen. Philipp schaut sich um, kann nicht erkennen, was geschah, versteht es erst recht nicht. Gilbert jedoch findet zuerst seine Stimme wieder.
"Hüter… natürlich. Hüter des Glaubens. Was denn sonst. Auch wenn wir nicht die besten…"
"Still! Keine Lügen mehr!"
Richard schlägt mit seinem mit Eisen besetzten Handschuh auf den flachen Tisch vor ihm und die Trauben auf dem großen Tablett aus Silber darauf beginnen zu springen.
"Hüter des Kreuzes, Nichts anderes zählt. Und damit macht Ihr gar den Heiligen Vater irre, dass er sich in so einer günstigen Zeit nicht traute, selbst zu einem Kreuzzug aufzurufen. Dumm eben nur, dass Ihr den Kaiser nicht in der Hand habt. Denn der gibt nicht so viel auf die Franzosen, nicht wahr?"
Die alte Rede, denkt Philipp… der Kaiser und die Franzosen… immer machen die einen, was der andere nicht will… und umgekehrt. Ja, Angst hat er nur vor den Slawen. Die stehen stets an oder gar innerhalb seiner Grenzen, die muss er nutzen oder sich zum Feind machen, ihnen wird er nach dem Munde reden. Mehr, als dem Papst. So ist es schon lange und daran wird auch eine Hospitalbruderschaft nichts verändern. Ganz sicher sogar!
Der hohe Johanniter schaut nicht einmal betreten. Philipp beobachtet die Mimik seines Herrn sehr genau. Nein, es überrascht ihn nicht.
"Majestät belieben, uns zu drohen?"
Der schaut zum Ausgang des Zeltes. Vielleicht denkt er gar einen Moment daran, die Wachen hereinzurufen, denn seine drei Besucher sind die Einzigen hier drinnen und stehen da in vollen Waffen. Gerade geht er sie an. Kein gutes Ohmen… oder nur übertriebene Angst?
"Ich drohe nicht. Ihr könnt meinetwegen mit dem alten Mann in Rom tun, was Euch beliebt. Wenn Ihr nur Ruhe vor Akkon gebt und mir meine Pläne nicht durchkreuzt. Sonst könnt Ihr das Kreuz sicher nie wieder schützen!"
Jetzt ist auch Gilbert wieder ganz bei sich. Vielleicht überlegte er, vielleicht erwartete er noch weitere Einlassungen des Königs.
"Das Kreuz ist das Eine. Niemand außer einigen Wenigen in unseren Orden weiß von seinem Verbleib. Und nur einer einzigen Familie obliegt es, dieses zu schützen. Wollt Ihr wirklich die stärksten Orden auf Erden gegen Euch aufbringen, indem Ihr uns hier zur Ordnung ruft, wo es nichts zu ordnen gibt? Wäre es nicht besser, Ihr lasst uns gewähren, den Schein der Fehde zu wahren und somit Macht und Kreuz zu schützen? So Gott will, gibt er uns dazu vielleicht irgendwann gar noch Jerusalem?"
Jetzt lacht Richard. Es ist ein kaltes, ein hartes Lachen, das nichts, aber auch gar nichts Lustiges in sich trägt.
"Akkon ist das Ziel dieses Zuges. Noch die eine oder andere Hafenstadt, eine sichere Passage zu Lande hierher. Der Rest… nun, Jerusalem ist wichtig, aber nicht in diesen Zeiten! Der Pascha wird schon wissen, was er tut, und ehe wir diese Stadt am Ölberg einnehmen, haben wir vielleicht mehr verloren, als wir auch nur ahnen! Nein, nein, Akkon… und dann nach Norden und Westen… über Land. Das ist das Ziel."
Verdutzt schauen die Ordensherren. Philipp glaubt, nicht recht verstanden zu haben, was er eben hören musste. Nicht nach Jerusalem, nicht das Heilige Grab zurückerobern, den Tempelberg, die Wiege ihres Glaubens?
"Aber, aber, meine Herren! Wir wissen doch alle, dass, sollte auch nur ein Teil Eurer Geschichte um das Kreuz wahr sein, all dies völlig wertlos ist, es gar eher den Glauben gefährdet als stützt, oder?"
Jetzt wollen Gilbert und Geoffroy losschreien, besinnen sich jedoch und schauen beide zu Philipp. Was sollte der jetzt tun? Er zuckt nur mit den Schultern. So viel Impertinenz erlebte er selten. Der König offenbart ein ganz anderes Ziel, als man es den Kreuzfahrern vorbetete, und nun soll sein Oberer hier auch noch… noch etwas schützen, was den Glauben zunichtemacht?
Der Johanniter schaut überlegen. Richard zeigt eine Spur von Unsicherheit. Was hat dieser Waffenmann, was ihn so sicher macht?
"Nun, Majestät, mag sein, das Ihr bestimmte Order habt. Doch werdet Ihr unseren Rat brauchen und sicher auch annehmen."
Jetzt fängt sich der Angesprochene schnell.
"Wer hier wen in der Hand hat, auch wenn ich solche Worte und Ränke nicht mag, das wird sich noch zeigen. Offensichtlich weiß ich etwas von Euch, was den Kaiser interessieren könnte, oder?"
Wieder lacht der Johanniter, nickt noch einmal Gilbert zu und baut sich plötzlich auf der anderen Seite des Königs auf.
"Wisst Ihr eigentlich, wen Ihr Euch gerade zum Feinde macht?"
Richard versucht, eine überlegene Mine zu wahren. Die eindeutige Position der drei Besucher, die er selbst zu sich bat, verhindern dies jedoch, denn auch Philipp stellte sich so, dass sie zu dritt einen zwar weiten und offenen, aber doch erkennbaren Ring um den König bilden. Der zittert gar einen Moment, dann kommt er zu sich.
"Gut denn… Ihr droht mir und ich Euch. Nur… wenn Ihr dieses Zelt verlasst, werden meine Männer…"
"Nichts werden sie tun. Denn gegen einen Slawen richten sie nichts aus, gegen die Ordensbrüder der vereinten Johanniter und Templer erst recht nichts!"
Nur Philipp fiel wohl auf, dass sich Geoffroy als Slawen bezeichnete. Er denkt nach und erkennt, was er nicht glauben will… Oh ja, er beschäftigte sich mit seinem Orden. Und auch mit den Templern, die im slawischen Böhmen alle Ländereien der Johanniter bewachen und beschützen. Dafür stehen die anderen an anderem Ort ebenso für die Templer ein. So vermeidet man, zu kleine Gruppen zu halten. Aber… Geoffroy de Donjon… ein Slawe?
"Einen Donjon nennt man im Lande der Franzosen gemeinhin einen Bergfried oder einen Wohnturm. Felsenhart, sicher, eine Zuflucht, eine Macht. Genau wie meine Familie, die in Frankreich genauso siedelte, wie auch in Böhmen. Sie schuf das Wort, war sozusagen Urvater dessen… aus den Donin, den felsenharten und mächtigen Herren an Elbe und Moldau, die ein wichtiger Zweig der Berka von der Duba sind, aus denen wurden die de Donjon… und auch die Sicherheit, die man einem Bergfried zugesteht. Dass die Dubas, die von den berühmten Horowitzern abstammen, einst Mitgründer des Ordens vom Tempelberg in Jerusalem waren, wisst Ihr sicher, Majestät, oder? Schaut Euch meine Johanniter an, schaut auch auf die Templer, die dort draußen noch für einige Ordnung sorgen… und schaut in mein Gesicht. Was erkennt Ihr? Verleugnet es nicht… es ist nun einmal ein wichtiger Teil der Slawen in mir… ich allein habe deren Macht. Auch hier. Was sagt Ihr nun?"

...

 

-------------------------------------------------------

© 2008-2024 by Stefan Jahnke, alle Rechte, besonders das Recht auf
    Vervielfältigung, Veröffentlichung und Verbreitung, sind vorbehalten.

 

Birkenkreuz-Saga - Alle Bücher - Autor - Verlag und Bestellung - Hintergründe - Rezensionen - Zurück